Vorsichtig wage ich einen ersten Schritt auf die spiegelglatte Fläche vor mir. Das Eis knistert und zerspringt unter meinen Schuhen. Einige Meter weiter ein gefrorener Wasserfall, kaum größer als ich selbst. Gleich daneben verläuft eine schneebedeckte Forststraße. Sie führt hinauf zur Kerschbaumeralm in den Lienzer Dolomiten. Ein paar Zentimeter mehr Schneefall in den letzten Stunden und der Weg wäre mit dem Auto unpassierbar gewesen. Von einer Skipiste oder Rodelbahn aber keine Spur. Was zur Hölle mache ich also hier, an einem eisigkalten Samstagvormittag Mitte Jänner?

Eisklettern in den Lienzer Dolomiten

Gemeinsam mit vier Bayern, einem Osttiroler Bergführer und einer zweiten Gruppe, machen Cori und ich uns mit Steigeisen, Klettergurt, Helm und Eisgeräten bewaffnet auf die Suche nach kletterbaren Felsen. Und Wasserfällen. Vereist und gefroren natürlich, sonst macht das Ganze im Winter ja auch wenig Spaß. Zumindest für kletterbegeisterte Freizeit-Bergsportler wie uns.

Eis-Festival trotz Lawinenwarnung? Improvisation ist alles!

Genau genommen ist es das Alternativprogramm zu Plan B, was wir hier machen, nachdem der ursprüngliche schon am Vorabend auf wackeligen Beinen stand und in der Früh endgültig verworfen werden musste: Starker Schneefall im Süden Österreichs führte nicht nur zu einem Verkehrschaos während der Anreise nach Osttirol, sondern veranlasste den Lawinenwarndienst die Stufe 4 der fünfstufigen Skala auszurufen. Somit war auch die Neuschneesituation entlang des kurzen Zustiegs vom Matreier Tauernhaus zum Eispark Osttirol als zu gefährlich eingestuft. Der Veranstalter des für dort geplanten Eis-Festivals wollte und konnte das Risiko nicht eingehen und musste das Event kurzerhand absagen. Bei einer öffentlichen Veranstaltung mit mehreren hunderten Besuchern zwar bitter, aber durchaus nachvollziehbar. Sicherheit geht schließlich vor.

Gschlösstal Richtung Matreier Tauernhaus in Osttirol

Erfreulicherweise sind wir aber nicht umsonst angereist, denn der Verein Bergsport Osttirol änderte gemeinsam mit den Kalser Bergführern spontan das Programm und teilte die Besucher auf ganz Osttirol auf.

Eisklettern in den Lienzer Dolomiten

Nahe dem Lienzer Talboden ist das Wetter an diesem Samstag deutlich besser, es hatte vergleichsweise wenig geschneit. Über eine Forststraße geht es durch die Galitzenklamm hinauf in Richtung Kerschbaumeralm, einem beliebten Ausgangspunkt für Bergtouren auf den Spitzkofel (2.717 Meter).

Galitzenklamm
Unterwegs in der Galitzenklamm

Der Plan war, dass wir uns über einen gefrorenen Wasserfall in die Klamm abseilen und an diesem im Toprope-Stil (mit von oben, am „Top“, eingehängten Seil) wieder hinaufklettern. Allerdings kamen uns andere Eiskletterer zuvor und es wäre nicht genügend Platz für alle gewesen. Somit wichen wir auf einen kleineren Eisfall ein Stück weiter bergaufwärts aus.

Hier stehen wir nun, die Steigeisen bereits angelegt, und schlagen unter Anleitung von Bergführer Mathias die speziell geformten Pickel probeweise ins Eis. Bei einer ersten Übung lernen wir auch gleich, die Steigeisen richtig einzusetzen: „Achtet auf einen etwas breiteren Gang, am Fels die Ferse hängen lassen!“ Und auch das Eindrehen einer Eisschraube als Zwischensicherung will zunächst am sicheren Stand geübt sein.

Bergführer Mathias erklärt eine Eisschraube

Anschließend seilen wir uns an und folgen dem zweiten Bergführer Alex über eine vereiste Rampe zu einer Plattform. Von hier aus nehmen wir die zweite Seillänge in Angriff und haben an zwei schnell eingerichteten Toprope-Routen die Möglichkeit, relativ sicher auch steilere Passagen in einem Eisfall zu klettern.

Cori beim Eisklettern in den Lienzer Dolomiten

Die Unterschiede zum herkömmlichen Felsklettern sind größer als gedacht. Nicht (nur) der Steigeisen wegen, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass man keine Hand frei hat: statt mit den Händen zieht man sich an den Eisgeräten genannten Pickeln nach oben, die für Steileiswände stark gekrümmt sind und über scharfe, sägeblattähnliche Spitzen verfügen. Am schwierigsten ist es für uns Anfänger, die geeigneten Stellen zum Einschlagen zu finden.

Flo beim Eisklettern in den Lienzer Dolomiten

Tipp unserer Bergführer dazu: Konvexe, also nach außen gewölbte Eisformen „zerspringen“ leichter, als konkave Eisauflagen. Zudem sollen wir bereits vorhandene Löcher und Risse nutzen, um die Eisgerät dort ohne schlagen einfach einzulegen und mit Zug nach unten zu verkeilen. Einfacher gesagt, als getan! Von oben ertönt ein lautes „Eis!!“, wenn wieder einmal ebensolches zerbarst und Eis- statt Steinschlag verursacht.

Eisklettern in der Galitzenklamm

Trotz der Kälte haben wir dennoch unseren Spaß und sind dank der Klettererei gut aufgewärmt. Wenig überraschend hat übrigens auch die Temperatur einen starken Einfluss auf die Qualität des Eises. Zum Eisklettern sollte es idealerweise über einen längeren Zeitraum knapp unter Null bis maximal -8 °C haben, damit die Eisschichten schön und kompakt wachsen können. Tiefere Temperaturen so wie heute machen das Eis hingegen spröde.

Ice Master: wer ist der schnellste Eiskletterer?

Am späteren Nachmittag machen wir uns wieder auf den Rückweg nach Matrei, wo nun doch der geplante Ice Master Speed-Bewerb abgehalten werden kann. Zwar nicht im Eispark Osttirol selbst, aber am eisigen Wandfuß des nähergelegenen Wildkogels.

Vom Matreier Tauernhaus dauert der Zustieg nur knappe zehn Minuten, führt jedoch über zum Teil steiles Gelände mit Tiefschnee. Eine logistische Meisterleistung, das gesamte Equipment über Fixseile hier nach oben zu schaffen: Neben der Kletter- und Sicherungsausrüstung, auch eine Musik- und Lautsprecheranlage, die Zeitnehmung und „eisgekühlte“ Getränke für über 50 Teilnehmer und gut doppelt so viele Besucher. Sogar eine mobile Flutlichtanlage wird installiert, da die Finalrunden der Damen und Herren aufgrund des großen Andrangs erst nach 18 Uhr ausgetragen werden können.

Ice Master Speed-Bewerb Flutlicht Finale
Im Finale wird bei Flutlicht parallel auf zwei Routen geklettert.

Neben den sportlichen Leistungen begeistert uns auch der Zusammenhalt innerhalb der Kletter-Community: binnen Minuten nach Ende des Bewerbs ist die Ausrüstung wieder abgebaut und alle helfen zusammen, um diese schnellstmöglich und sicher wieder zurück zum Tauernhaus zu bringen. Auch Cori und ich beteiligen uns und schultern einen Lautsprecher plus Stativ.

Die Siegerehrung findet anschließend bei wohligwarmen Temperaturen in der Gaststube statt. Bei den Herren sichert sich der Osttiroler Bergführer Peter Wurzer den Sieg, bei den Damen die Tirolerin Katharina Schrettl.

Ice Master Speed-Bewerb Siegerehrung im Matreier Tauernhaus
Siegerehrung im Matreier Tauernhaus

Eisklettern im Eispark Osttirol

Am Sonntag bekommen wir schließlich doch noch die Gelegenheit, dem Eispark Osttirol im Gschlösstal einen Besuch abzustatten. Der größte künstliche Eisklettergarten Österreichs wurde erst im Vorjahr eröffnet und für die heurige Wintersaison noch einmal erweitert: mehr als 400 Meter Rohrleitungen wurden verlegt, über die Wasser mit Druck geleitet und durch feine Düsen über die bis zu 60 Meter hohen Wände gesprüht wird. Zahlreiche neue Routen in allen Schwierigkeitsgraden wurden dadurch erschlossen.

Zustieg zum Eispark Osttirol
Zustieg zum Eispark Osttirol. Cori zeigt in Richtung der Hänge, von denen am Vortag noch offiziell Lawinengefahr drohte.
Unterwegs im frisch verschneiten Gschlösstal
Unterwegs im frisch verschneiten Gschlösstal …
Eispark Osttirol
… nähern wir uns dem Eispark

Eispark Osttirol im Gschlösstal

Ziemlich beeindruckend! Vor allem, wenn man bedenkt, dass hier normalerweise gar kein Eis an den Wänden wäre. Nach den heftigen Schneefällen der letzten Tage herrschen hier heute bei zeitweise strahlendem Sonnenschein ideale Bedingungen.

Wir sind diesmal mit Bergführer Tobias unterwegs, mit dem wir unsere Technik verbessern und uns an etwas längere Routen wagen wollen. So lernen wir unter anderem besser unsere Steigeisen einzusetzen und mit nur einem Eisgerät zu klettern. Außerdem haben wir die Gelegenheit den zahlreichen anderen Eiskletterern zuzuschauen. Im Vorstieg und mit Doppelseiltechnik wagen sie sich in luftige Höhen, gesichert an für meinen Geschmack sparsam gesetzten Eisschrauben.

Flo im Eispark Osttirol

Apropos zuschauen: Über eine eigens installierte Webcam können sich Interessiert jederzeit ein Bild über die Bedingungen vor Ort machen. Die gesamte Anlage ist übrigens öffentlich zugänglich und der Eintritt kostenlos. Für Anfänger empfiehlt sich jedoch ein Eiskletterkurs mit den Bergführern.

Rückweg zum Matreier Tauernhaus im Gschlösstal

Stärkung mit Osttiroler Spezialitäten im Matreier Tauernhaus

Wenn du ebenfalls einen Besuch im Eispark planst oder eine (geführte) Skitour in die umliegenden Berge des Gschlösstals unternehmen möchtest, empfehle ich dir einen Aufenthalt im Matreier Tauernhaus, bewirtet von Anneli und Andreas Brugger.

Matreier Tauernhaus

Neben Doppel-, Familien- und Lagerzimmer mit reichhaltigem Frühstücksbuffet und Halbpension kannst du hier wahlweise auch à la Carte im Gasthof essen. Die durchgängig warme Küche serviert zahlreiche Osttiroler Spezialitäten, wie z.B. Schlipfkrapfen, gefüllte Teigtascherln mit Kartoffeln und Kräutern, Butter und Parmesan. Ebenso sind die Spinatknödel und Käsespätzle zu empfehlen.

Nanga Parbat and beyond: Vortrag von Alpin-Legende Steve House

Reinhold Messner nannte ihn den „weltbesten Extrem-Bergsteiger unserer Zeit“. Die Rede ist von Steve House aus Colorado, der mittlerweile mit einer Österreicherin verheiratet ist und mehrmals im Jahr in die Heimat seiner Frau kommt, unter anderem auch zum Eis-Festival für einen spannenden Vortragsabend und die Teilnahme am Ice Master Speed-Bewerb. Ein Denkmal als Bergsteiger setzte er sich 2005, als er gemeinsam mit seinem Kletterpartner Vince Anderson die Rupalwand am Nanga Parbat erstmals im Alpinstil durchstieg. Die mit 4.100 Meter höchste Felswand der Welt wurde zuvor erst einmal erfolgreich geklettert, nämlich von den Gebrüdern Messner.

Steve House Vortrag im Matreier Tauernhaus

Dass man Steve House außerhalb der Alpin-Szene trotzdem kaum kennt, liegt daran, dass er sich nicht wie andere Bergsteiger seines Könnens vor den „Sponsorenkarren“ zurren lässt. Von seinen Besteigungen gibt es daher auch kaum gutes Bild- und Videomaterial. Steve hat großen Respekt vor den Bergen. Er mag es nicht, wenn oft davon gesprochen wird, welche Gipfel bereits „bezwungen“ wurden. Der Berg lässt sich nicht bezwingen, er erlaubt dir nur, an ihm zu trainieren, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und dadurch ein guter (= sicherer) Alpinist zu werden. „Focus is key, comfort is optional!“ – danke Steve, für den tollen Vortrag!

Steve House

Mehr über Eva und Steve House erfährst du in der spannenden Bergwelten-Doku über die Hoch-Tirol, eine Hochgebirgsskiroute in den Osttiroler Bergen, inklusive Großvenediger und Großglockner.

Vielen Dank für die Einladung zur Teilnahme am 2. Osttiroler Eis-Festival. Meine Meinung bleibt wie immer meine eigene.

Florian Figl

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